Die Richtlinie ist noch nicht in Kraft getreten. Ab wann ärztliche Verordnungen nur noch nach der Außerklinische-Intensivpflege-Richtlinie und nicht mehr nach der Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie erfolgen (HKP-Richtlinie, Anlage: Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege, Ziffer 24 HKP bzw. Nr. 24 HKP: spezielle Krankenbeobachtung) siehe unten*.
I. DANK an den G‑BA
II. Wir nehmen die AMPEL-Koalition beim Wort
III. TRIAGE in der Corona-Pandemie, Versorgungssicherheit und Verordnungssicherheit
I. DANK an den G‑BA
Der G‑BA, der gemeinsame Bundesausschuss, hat sich umfangreich mit den eingereichten Stellungnahmen der (nur) zu dieser Erstfassung der Richtlinie zugelassenen Stellungnahmeberechtigten, unter anderem der Verbände, der Patientenvertretungen und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen, Betroffenen sowie Angehörigen, auseinandergesetzt und um Lösungen gerungen.
Die beste Sacharbeit kann aber eine strukturell mangelhafte gesetzliche Grundlage, wie § 37 c SGB V, in der Fassung Bundestagsdrucksache BT-DS 19/20720, nicht heilen. https://intensivkinder.de/ipreg-am-29 – 10-2020-in-kraft-haeusliche-krankenpflege-und-versus-oder-ausserklinische-intensivpflege/
Das GKV-IPReG ist am 29.10.2020 in Kraft getreten.
Der G‑BA hat sogar den gesetzlich vorgegebenen Zeitplan überschritten, um die umfangreichen Stellungnahmen auswerten zu können. Es fand zudem am 09.09.2021 eine Anhörung statt.
Auszug aus Pressemitteilung des G‑BA (gekürzt):
Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G‑BA: (…) „Mit dieser Widersprüchlichkeit zwischen dem Auftrag, bedarfsgerechte Regeln zu definieren, und dem engen zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum musste der G‑BA umgehen. Ob die Umsetzung gelungen ist, werden wir überprüfen: Sollte sich bei der Evaluation zeigen, dass es Nachbesserungsbedarf gibt, setzen wir uns damit auseinander.“ (…)
„Gesetzlich neu festgelegt ist auch, dass der Medizinische Dienst mindestens einmal im Jahr die Versorgung in der Umgebung überprüft, in der die Patienten versorgt werden. Einerseits soll dies eine gute Betreuung sicherstellen, andererseits löst es aber bei vielen Betroffenen und ihren Familien, die bereits eine sehr gut funktionierende Versorgung erleben, Ängste aus, nicht mehr selbst ihr Lebensumfeld bestimmen zu können. Hier sollte der Gesetzgeber genau beobachten, ob er mit seinen strikten Vorgaben, die der G‑BA zu beachten hatte, nicht ungewollt Hürden für eine funktionierende und gute Versorgung in der Häuslichkeit aufgebaut hat. Er müsste dann gegebenenfalls auch aktiv werden und das Gesetz ändern.“
„ Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied des G‑BA und Vorsitzende des Unterausschusses Veranlasste Leistungen: Der G‑BA stand vor einer eigentlich unmöglich zu lösenden Aufgabe: Er sollte in einem extrem knapp bemessenen Zeitrahmen den neuen Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege regeln, differenziert und bedarfsgerecht für eine sehr heterogene Patientengruppe. Denn so vielfältig wie die Patientengruppe selbst ist auch ihre Lebens- und Betreuungssituation. Es gibt beatmungspflichtige Patientinnen und Patienten, die in ihrer Selbstständigkeit stark eingeschränkt sind; andere wiederum nicht. Es gibt Kinder und Jugendliche mit angeborenen oder fortschreitenden Erkrankungen, die mit Unterstützung ihrer Angehörigen ein selbstbestimmtes Leben führen. Es gibt Erwachsene, die beispielsweise nach einem Unfall oder Schlaganfall voraussichtlich nur kurzzeitig Leistungen der außerklinischen Intensivpflege brauchen. Und es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Grunderkrankung regelmäßig in lebensbedrohliche Krisen kommen. Im bewusst sehr breit angelegten Stellungnahmeverfahren zur neuen Richtlinie haben wir sehr wichtige Hinweise zu diesen unterschiedlichen Bedarfen und den damit zu verbindenden Reglungen bekommen.“ (Originalpresseerklärung des G‑BA zur AKI RL vom 19.11.2021 https://www.g‑ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1000/ )
Hier der LINK für die Außerklinische-Intensivpflege-Richtlinie v. 19.11.2021 (noch nicht in Kraft), auf der G‑BA-Homepage seit dem 24.11.2021, 14.00 Uhr
https://www.g‑ba.de/downloads/39 – 261-5142/2021 – 11-19_AKI-RL_Erstfassung.pdf
Die sogenannten „Tragenden Gründe“ des G‑BA zur Außerklinischen Intensivpflege Richtlinie, die wir mit Spannung erwarten, sind noch nicht veröffentlicht.
II. Wir nehmen die AMPEL-Koalition beim Wort
Die AMPEL-Koalition von SPD und Bündnis 90/Die GRÜNEN und FDP führt in ihrem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ vom 24.11.2021 aus:
„Bei der intensivpflegerischen Versorgung muss die freie Wahl des Wohnorts erhalten bleiben. Das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) soll darauf hin evaluiert und nötigenfalls nachgesteuert werden. Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich.“ (Seite 83).
Wir nehmen die AMPEL-Koalition noch in dieser Wahlperiode 2021 – 2025 beim Wort!
Die neuen Regelungen zur außerklinischen Intensivpflege, die bestehenden strukturellen Umstände, die Umsetzung der neuen, teilweise noch nicht geschaffenen, Voraussetzungen müssen deutlich schneller als bisher vorgesehen evaluiert werden. Die bisher gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung der außerklinischen Intensivpflege gem. § 37 c SGB V soll erstmals bis Ende des Jahres 2026 erfolgen. Dafür ist dem Bundesgesundheitsministerium durch den GKV-Spitzenverband ein Bericht vorzulegen.
Diese extrem geringere und ungleich ausgestaltete Schutzpflicht zur Überwachung für teilweise dauerhaft betroffene Menschen in ambulanter Intensivbehandlungspflege und außerklinischer Intensivversorgung in Einrichtungen im Vergleich zur Überprüfung der Rehabilitationsversorgung, ist angesichts der hohen Regelungsdichte und Eingriffsintensität nicht hinnehmbar.
Die Überprüfung der als Stärkung der Patientenrechte und auch der Prävention allgemein anerkannten Änderungen der Rehabilitationsversorgung, die im gleichen Gesetz neu geregelt wurde, erfolgt bei geringerer Eingriffsintensität in deutlich größerem Umfang. § 40 SGB V in der Fassung des GKV-IPReG ordnet für die typischerweise vorübergehende Rehabilitation einen ersten Bericht des GKV-Spitzenverbandes beim Bundesgesundheitsministerium für 2021 bis zum 30.06.2022 und sodann Berichte jährlich bis zum 30.06.2024 an. Bei der außerklinischen Intensivpflege fehlt die gesetzliche Anordnung von Folgeprüfungen. Es braucht Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. https://intensivkinder.de/gleichberechtigung-und-nichtdiskriminierung/
III. TRIAGE in der Corona-Pandemie, Versorgungssicherheit und Verordnungssicherheit
Die Versorgungssicherheit für Intensivbehandlungen aller hier lebenden Menschen ist durch die Corona-Pandemie und die Organisation der Pandemie-Maßnahmen seit März 2020 bis jetzt im November 2021 und absehbar bis deutlich in das Jahr 2022 hinein angespannt, wiederholt eingeschränkt und aktuell stark gefährdet. Die Sektoren der Gesundheitsversorgungen sind ohne Reserven, nah oder akut im Burnout. Alle betroffenen Menschen haben eigene Reserven in häufig erheblichem Umfang eingesetzt. Die DIVI, Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensivmedizin und Notfallmedizin, hat am 26.11.2021 die neue TRIAGE – Leitlinie vom 25.11.2021
veröffentlicht.
TRIAGE in Notfallsituationen heißt, ärztlich – pflegerisch unter Beteiligung des Patienten, zu wenig Beatmungsgeräte, zu wenig Intensivbetten, zu wenig Personal und zu wenig Intensiv-Behandlungsmöglichkeiten nach bestimmten Kriterien an zu viele Akut-Intensiv-Patienten zuzuteilen.
TRIAGE in einfacher Sprache: Entscheiden, wen man versucht zu retten und wen man sterben lassen muss.
Es kann und darf nicht sein, dass im Zeitraum der Corona-Pandemie der komplexe Bereich der außerklinischen Intensivpflege strukturell teilweise neu aufgebaut werden soll.
Es bestand schon vor der Pandemie eine strukturelle Schwäche in der stationären Intensivpflege mit Beatmungspatienten, der ambulanten Intensivbehandlungspflege und der Behandlungspflege in der Pflegeversicherung. Es gab Regelungsbedarf zur Qualitätsverbesserung zum Zweck der verbesserten Versorgung der betroffenen Menschen, deren Schutz auf Leben sowie körperlicher und gesundheitlicher Unversehrtheit, ebenso wie zur Verhinderung von Behandlungsfehlern, teilweise bandenmäßigem Abrechnungsbetrug, einschließlich organisierter Kriminalität. Das war der Grund für die Gesetzgebungsverfahren des RISG (2019) und des GKV-IPReG (2020). Die vom Gesetzgeber gewollte strukturelle Verbesserung erfolgte für die ambulante Intensivbehandlungspflege mit einer in der vor-pandemischen Zeit strukturell teilweise fragwürdigen Rechtsgrundlage mit teilweise sehr zweifelhafter Abwägung zwischen Finanzierungsverschiebungen, Personalbedarf und Freiheitsrechten der Betroffenen. Die Corona-Pandemie war anfangs höhere Gewalt, inzwischen haben sich durch die Notstandslage die äußeren Umstände stark verändert. Auch die Gruppen der mit Intensivpflege persönlich konfrontierten Menschen hat sich verändert und erheblich vergrößert. Strukturell und Katastrophenfall-organisatorisch besteht seit 21 Monaten eine über jedes Limit des Menschenmöglichen hinausgehenden Be- und Überlastung der klinischen Akut-Intensivpflege für ihre Intensivpatienten, einschließlich von COVID-19-Patienten. Es besteht eine Hochbelastung unter anderem des außerklinischen und sonstigen Pflegesektors, der pflegenden Angehörigen, der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe und anderer. Am 16.07.2020 erging ein Beschluss vom Bundesverfassungsgericht zu Triage, Aktenzeichen 1 BvR 1541/20
http://www.bverfg.de/e/rk20200716_1bvr154120.html
Es besteht jetzt ein extrem enges Zeitfenster in der Regelung der außerklinischen Intensivpflege für die Partner der Gesundheitsversorgung, nämlich zusammengefasst – Pflegekräfte, Krankenhausärzte, ambulante Ärzte, Leistungserbringer, wie Pflegedienste und Einrichtungsleitungen sowie Betroffenen und andere. Im Jahr 2022 müssen die Rahmenverhandlungen für die außerklinische Intensivpflege nach § 132 l SGB V durchgeführt werden. Die darin verhandelten Strukturen (baulich, personell, organisatorisch) und die Qualitätsmanagement-Systeme müssen umgesetzt und gewährleistet werden. Es müssen die Vergütungsverhandlungen der Leistungserbringer und Krankenkassen durchgeführt und entsprechende Verträge abgeschlossen werden. Der Bundesmanteltarif für Vertragsärzte, Qualitätsanforderungen, Qualifikationserfordernisse, Leistungsbeschreibungen und Vergütungsregeln und Vergütungen für Arzthonorare müssen erfolgen, abgeschlossen und umgesetzt werden. Dazu gehört die Erteilung von Zulassungs-Genehmigungen für potenzialerhebende Ärzte mit Fortbildungsregelungen und zeitgerechten Fortbildungsangeboten. Ab dem 4. Quartal 2022 muss die Potenzialerhebung von (einem Teil? der) rund 22.000 AKI-Patienten durch „persönlichen“ (Erst-) Kontakt mit dem potenzialerhebendem, qualifizierten Arzt, gegebenenfalls unter Corona-Bedingungen, erfolgen. Die genaue Zahl der verpflichtenden Potenzialerhebungen, die nach § 5 AKI Richtlinie, Absatz (1) „bei beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten“ „vor jeder Verordnung“ erhoben werden muss, ist ins Verhältnis zu setzen zu der pandemiebedingten Aus- und Überlastung der in Betracht kommenden qualifizierten und zu qualifizierenden Intensivmediziner. Die Zahl der Potenzialerhebungen ist allein den Krankenkassen und Krankenversicherungen und sonstigen Rehabilitationsträgern im Sinne des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) bekannt. Laut GBA werden, „viele tausend Menschen in außerklinischer Intensivpflege, d. h. sie werden außerhalb von Krankenhäusern betreut, und die meisten davon werden beatmet. Allein für 2019 weisen Statistiken der Krankenkassen über 22 000 Fälle aus.“ Was sind Fälle? Wie viele Fälle werden bei anderen Rehabilitationsträgern im Sinne des BTHG und anderen nicht als Rehabilitationsträger definierten Einrichtungen, beispielsweise der Pflegeversicherung, noch geführt?
*Ab dem 01.01.2023 sind Verordnungen für außerklinische Intensivpflege grundsätzlich nach der außerklinischen- Intensivpflege-Richtlinie (AKI RL), nicht nach der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie (HKP RL) auszustellen.
Wie sollen gleichzeitig die Corona-Pandemie bekämpft und die Voraussetzungen der außerklinischen Intensivpflege ausgearbeitet, verhandelt, umgesetzt und terminlich, einschließlich der für die Verordnung erforderlichen Untersuchungstermine beim qualifizierten Arzt, möglich sein? Eine Verordnungssicherheit ist nicht gegeben und nicht sichergestellt. Es braucht angemessene Vorkehrungen https://intensivkinder.de/?s=angemessene+Vorkehrungen unter Beachtung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Kann ein unmöglicher gesetzlicher Auftrag bei geändertem Lagebild aufrechterhalten werden?
Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch sagen, dass A falsch war.
Dieser Text als PDF: 2021 – 11-29_AKI-RL_GKV-IPReG_INTENSIVkinder_zuhause
LINKS zum Koalitionsvertrag
https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/
Wer oder was ist der G‑BA ?
https://www.g‑ba.de/ueber-den-gba/wer-wir-sind/
„Die grundsätzlichen Entscheidungen zum Leistungsanspruch der gesetzlich Krankenversicherten trifft in Deutschland der Gesetzgeber. Mit der Aufgabe, den sogenannten Leistungskatalog der Krankenkassen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu konkretisieren, hat der Gesetzgeber den G‑BA als höchstes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung betraut.“ Das Bundesministerium für Gesundheit ist für die Rechtsaufsicht verantwortlich.
Selbstverwaltungsorganisationen sind (zur Zeit)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV),
- Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV),
- Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und
- Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
Organisationen, die auf Bundesebene maßgeblich die Interessen von Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen vertreten, besitzen im G‑BA entsprechend den Vorgaben des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch Mitberatungs- und Antragsrechte, jedoch grundsätzlich kein Stimmrecht.