oder Familien mit intensivpflegebedürftigen Kindern und jungen Menschen mögen keine Überraschungen
Am 21.05.2022 wandte sich unser Mitglied, Henriette Cartolano, an
https://fragdenstaat.de/a/249634
„Gesucht wird nach der aktuellen Anzahl der Leistungsfälle von Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 18 Jahren, sowie der Entwicklung dieser Leistungsfälle in den vergangenen fünf Jahren, die im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V, „spezielle Krankenbeobachtung“ nach Ziffer 24 zulasten der GKV erhalten haben.
Bitte um Angaben zur aktuellen Anzahl und Entwicklung der Leistungsfälle in den vergangenen fünf Jahren – von 2016 ‑2021“
Warum bedarf es JETZT einer Datenlage bezüglich der Neuregelungen durch das GKV-IPReG und der AKI-RL des G‑BA? Zum 1.1.2023, betreffend der Verordnung und ärztlichen Versorgung von Kindern und jungen Menschen mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege?
Das Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und Rehabilitation in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-IPReG) und die entsprechende Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie (AKI-RL) des Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) betonen, dass die besonderen Interessen von Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, jungen Volljährigen, bei denen ein Krankheitsbild des Kinder- und Jugendalters weiterbesteht oder ein typisches Krankheitsbild des Kinder- und Jugendalters neu auftritt oder ein dem Kindesalter entsprechender psychomotorischer Entwicklungsstand vorliegt, zu berücksichtigen wären.
Wir erinnern uns, dass der Gesetzgeber den G‑BA diesbezüglich ausdrücklich zu getrennten Richtlinien ermächtigt hat, dass der G‑BA diesem Auftrag nachzukommen, jedoch nicht für notwendig erachtet hat.
Wir erinnern uns ebenfalls, dass die an verschiedener Stelle genannten 19.800, 22.000 oder knapp 30.000 betroffenen Versicherten, darunter x? minderjährige Kinder, bisher weder differenziert nach Alter, Grunderkrankung, Versorgungsform oder vorhandenem Weaningpotenzial aufgeschlüsselt wurden.
Länder und Kommunen sind mitverantwortlich, (jungen) Bürgern notwendige medizinische Versorgungsstrukturen bereitzustellen
Für wie viele Kinder und junge Menschen deutschlandweit nun also in den Ländern und Kommunen bis zum 1.1.2023 neue Strukturen der fachärztlichen Versorgung mit einer Potenzialerhebung bereitgestellt werden müssen, ist nicht bekannt.
Da ohne Datenlage freilich keine Bedarfe ermittelt, Folgen abgeschätzt oder notwendige Strukturen etabliert und also – keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden können – vermuten wir, dass die Verantwortlichen bereit sind, sich (und die betroffen intensivpflegebedürftigen jungen Menschen), in sechs Monaten einfach überraschen zu lassen…
Jedoch: Überraschungen bezüglich der Verordnungssicherheit und der Sicherung der fachärztlichen Behandlung von häuslich versorgten (jungen und minderjährigen) IntensivpatientInnen passen nicht zu der immer wieder zurecht konstatierten Vulnerabilität der Patientengruppe. Deren Bedarfe, weil überlebenssichernd, komplex und medizinisch anspruchsvoll, werden als derart speziell beschrieben, dass der vorgängige Gesetzentwurf RISG Menschen mit Bedarf an Intensivpflege, ab Volljährigkeit, aus der Gesellschaft auszugliedern und der „Sicherheit“ einer institutionellen Unterbringung zuzuführen beabsichtigte, um die gebotene Versorgungsqualität zu garantieren.
Familien mit intensivpflegebedürftigen Kindern und jungen Menschen mögen keine Überraschungen…
Familien mit intensivpflegebedürftigen Kindern, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen im Haushalt, die seit dem Kindesalter betroffen sind, mögen und brauchen keine Überraschungen!
Familien mit intensivpflichtigen Angehörigen brauchen Verordnungssicherheit und fachärztliche Behandlungssicherheit.
Sie benötigen niedrigschwelligen Zugang zu ausgewiesenen spezialisierten fachärztlichen ambulanten Versorgungsstrukturen, transparente Versorgungspfade sowie Planbarkeit der notwendigen Arztbesuche mit ausreichend zeitlichem Vorlauf.
Familien mit intensivpflegebedürftigen Kindern und jungen Menschen hoffen also auf die von GKV-IPReG und AKI-RL in Aussicht gestellten Verbesserungen der fachärztlichen Versorgungsqualität.
Die neuen Regeln der AKI-RL greifen ab 1.1.2023. Alte Verordnungen nach HKP verlieren bis spätestens zum 1.10.2023 ihre Gültigkeit
Ab 1.1.2023 gilt, dass Verordnungen, (vormals Häusliche Krankenpflege nach Ziffer 24, ausstellbar durch alle Haus-und Kinderärzte) nur noch ausschließlich nach den neuen Bedingungen als Verordnungen über Außerklinische Intensivpflege rezeptiert werden dürfen.
Verordnende HausärztInnen müssen hierfür nun spezielle zusätzliche Qualifikationen aufweisen, und auch KinderärztInnen dürfen eine Verordnung bei tracheotomierten und beatmeten Versicherten nur nach einer vorausgegangenen fachärztlichen Potenzialerhebung vornehmen.
Für keinen der 20 – 30 Tausend Versicherten wird es (soweit bekannt) einfach werden, vor der Verordnung ab 1.1.2023 einen zugelassenen qualifizierten Facharzt oder Fachärztin zu finden, welche eine Potenzialerhebung durchführen darf. (Erhoben werden soll in jedem Einzelfall jeweils das Weaning und Dekanülierungs- und ‑Optimierungspotenzial, sowie die Möglichkeit, die PatientInnen von einer invasiven auf eine Masken-Beatmung umzustellen. PatientInnen mit einer Schluckstörung müssen hierfür von FachärztInnen mit Expertise in Dysphagien gesehen werden.) Weitere Voraussetzung für die kassenseitige Genehmigung der Verordnung ist in Folge noch zusätzlich eine persönliche Begutachtung durch den Medizinischen Dienst, der sowohl die medizinische Indikation als auch die gesicherte medizinische und pflegerische Versorgung am Ort der Leistung überprüfen wird. (Angaben bezüglich der Qualifikation der GutachterInnen sowie ein Leitfaden der zu prüfenden Parameter liegen noch nicht vor.)
Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung sowie die Verordnungssicherheit (und damit die Weiterversorgung durch spezialisierte Leistungserbringer oder Assistenzteams) sind ab 01.01.2023 für minderjährige Kinder besonders gefährdet.
Die Zahl der berechtigten niedergelassenen (pädiatrischen) PulmologInnen und IntensivmedizinerInnen, welche die verpflichtende Potenzialerhebung durchführen dürfen, ist in der Fläche verschwindend gering. Dies haben Gesetzgeber und G‑BA erkannt und daher vorgesehen, dass klinisch tätige Mediziner mit dieser Qualifikation als ambulante Leistung erbringen dürfen.
Die Familien, welche in den vergangenen beiden Jahren einen elektiven stationären Kurzaufenthalt zur Überprüfung/Optimierung der Beatmung ihrer Kinder auf einer der pädiatrischen Intensivstationen „ergattert“ haben, der nicht in letzter Minute abgesagt wurde, werden sich verwundert die Augen reiben: Wie und warum sollten ab Januar 2023 ausgerechnet diese klinischen Spezialisten für die ambulante Leistung der Potenzialerhebung flächendeckend und niedrigschwellig Verfügung stehen? (Wir wissen es nicht)
Zudem wird erst im Herbst diesen Jahres Klarheit bezüglich der Vergütung dieser ambulanten ärztlichen Leistung erwartet – d.h., erst dann wird seitens der niedergelassenen qualifizierten FachärztInnen sowie der Krankenhausträger in unserer kommerzialisierten „Gesundheitswirtschaft“ entscheidbar sein, ob es sich lohnt, spezialisierte ambulante Sprechstunden einzurichten, oder ob die DRGs /Entgelte besser im klinischen Stationsalltag oder anderweitig zu generieren sind.
Zertifizierte Weaningzentren mit neurologischer, pulmologischer oder muskulärer Spezialisierung analog zur Versorgung Erwachsener, in denen pädiatrische Fachärzte Qualifikationen zur Potenzialerhebung erwerben könnten, existieren für Kinder nicht. Da deren der Intensivpflegebedürftigkeit zugrundeliegende Grunderkrankung häufig von Geburt oder vom frühen Kindesalter an besteht, ist ein klassisches prolongiertes Weaning erfahrungsgemäß auch eher selten zu erwarten.
Betreut werden langzeitbeatmungspflichtige und tracheotomierte Kinder auf pädiatrischen Intensivstationen mit Expertise in diesen Langzeitversorgungen. Die seit Jahren strukturell unterfinanzierten, weil im wirtschaftlichen Sinn defizitär arbeitenden Kinderkliniken, sind durch den Pflegefachkräftemangel zusätzlich unter Druck geraten. Daher adressieren deutsche Kinderkliniken landauf landab und im Monatstakt ihre stetig dramatischeren Kapazitätsprobleme in Brandbriefen an die Politik und warnen vor drohendem Notstand und Unterversorgung schwer erkrankter Kinder.
Eine Datenlage ist von öffentlichem Interesse jetzt und zukünftig, denn nur wer Kinder wertschätzt, hat eine gesellschaftliche Zukunft.
Die gestellte Anfrage über FragDenStaat wird hoffentlich durch die Weiterleitung unseres Anliegens an das Bundesministerium für Gesundheit behilflich sein, die Zahl der jungen Menschen ans Licht zu bringen, die ab 2023 neue ambulante fachärztliche Strukturen als Voraussetzung für eine (Folge)Verordnung für die häusliche Intensivpflege nach der neuen AKI-RL benötigen, damit Länder und Kommunen, die örtlichen Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhäuser beginnen können, die gesetzlich vorgegebenen medizinischen Versorgungsstrukturen zur verpflichtenden Potenzialerhebung zu implementieren und damit die notwendigen angemessene Vorkehrungen zu treffen.
Unverständlich ist, warum die gesetzlichen Krankenkassen, bei denen der Sicherstellungsauftrag für die Leistung liegt, nicht bereits im Gesetzgebungsverfahren des GKV-IPReG Auskunft bezüglich der Leistungsfälle aufgrund von Beatmung und/oder Tracheostoma bei Kindern und Jugendlichen erteilt haben. Denn wie sollte der gesetzliche Auftrag, die besonderen Interessen der betroffenen Kinder und jungen Menschen zu berücksichtigen, umgesetzt werden, wenn niemand weiß, wie viele junge Versicherte, aufgrund welcher Erkrankungen diese Leistung überhaupt deutschlandweit und aufgeschlüsselt nach Bundesländern, beanspruchen?
Um den besonderen Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen, bei denen ein Krankheitsbild des Kindes- und Jugendalters weiterbesteht oder ein typisches Krankheitsbild des Kindes- und Jugendalters neu auftritt oder ein dem Kindesalter entsprechender psychomotorischer Entwicklungsstand vorliegt, das eine Intensivpflegebedürftigkeit nach sich zieht, braucht es nach Erhebung des IST Zustandes (Erhebung einer Datenlage) ab 1.1.2023 eine mehrjährige Umsetzungsbegleitung , da vorab keine Folgenabschätzung vorgenommen wurde und eine Nachsteuerung erforderlich ist, sollte sich zeigen, dass die Zielsetzung der Gesetzgebung GKV-IPReG und der Richtlinie des G‑BA, in Bezug auf die hochvulnerable Gruppe der intensivpflegebedürftigen Kinder und jungen Menschen verfehlt sind.
Hierzu:
Deutsches Institut für Menschenrechte: „Kinder haben ein Recht auf Gesundheit“