Für alle, die am 31. Mai 2022 keine MöglichÂkeit hatten an der online-Veranstaltung teilÂzuÂnehÂmen, hier der Link zur YouTube Aufzeichnung
MAIK ONLINETALK SPECIAL #04
„Freie Wahl des Versorgungsorts!?
Im KoaliÂtiÂonsÂverÂtrag zwar veranÂkert, aber wie wird die RealiÂtät aussehen?“
Im folgenÂden zitieÂren wir aus dem
Berlin – PatiÂenÂtenÂverÂtreÂter üben scharfe Kritik an den RegeÂlunÂgen zur außerÂkliÂniÂschen IntenÂsivÂpflege im InÂtensivpflege- und RehaÂbiÂliÂtaÂtiÂonsÂstärÂkungsÂgeÂsetz (IPReG). Nicht nur werde es zu einer VerschlechÂteÂrung der VersorÂgung führen – die RegeÂlunÂgen seien sogar grundÂgeÂsetzÂwidÂrig, erklärÂten sie heute bei einer VerÂanstalÂtung des MünchÂner außerÂkliÂniÂschen IntenÂsiv Kongress (Maik).
Menschen, die beatmet werden müssen, hätten es wegen des hohen VerordÂnungsÂaufÂwanÂdes ohneÂhin bereits schwer, ÄrztinÂnen oder Ärzte für die VersorÂgung zu finden, beklagte Markus Behrendt, PatiÂenÂtenÂverÂtreÂter im GemeinÂsaÂmen BundesÂausÂschuss (G‑BA) und VorsitÂzenÂder des Vereins IntenÂsivÂLeÂben.
Es gebe fehlende KapaÂziÂtäÂten für geplante BeatmungsÂeinÂstelÂlunÂgen oder ‑kontrolÂlen bei Menschen, die längerÂfrisÂtig auf künstÂliÂche Beatmung angeÂwieÂsen sind, eine bedarfsÂgeÂrechte fachÂärztÂliÂche VersorÂgung sei oft nur in speziaÂliÂsierÂten EinrichÂtunÂgen möglich, die auf die jeweiÂlige KrankÂheit eingeÂstellt sind.
Und ab dem kommenÂden Jahr soll es noch schwieÂriÂger werden: SteiÂgende AnforÂdeÂrunÂgen an die hausÂärztÂliÂche VersorÂgung würden dann die VerordÂnungsÂsiÂcherÂheit gefährÂden, warnte Behrendt. So müssÂten HausÂärzte dann beispielsÂweise zusätzÂliÂche einen NachÂweis über KompeÂtenÂzen im Umgang mit beatmeÂten oder trachealkaÂnüÂlierÂten PatiÂenÂten erbrinÂgen oder sich über FortÂbilÂdungsmaßÂnahÂmen gesonÂdert qualifizieren.
AußerÂdem würden UnterÂsuÂchunÂgen zur PotenÂziÂalÂerheÂbung vor jeder VerordÂnung – in der Regel alle sechs Monate – verpflichÂtend. Diese dürfÂten jedoch nur FachÂärzte mit speziÂelÂler ZusatzÂquaÂliÂfiÂkaÂtion durchÂfühÂren, ausgeÂnomÂmen IntenÂsivÂmeÂdiÂziÂner und PneuÂmoÂloÂgen. „Es ist schon nicht leicht, einen Hausarzt zu finden. Einen Facharzt zu finden, ist aber noch sachÂwieÂriÂger“, sagte Behrendt.
Es würden also mehr fachÂärztÂliÂche UnterÂsuÂchunÂgen als bisher angeÂordÂnet und gleichÂzeiÂtig der Kreis der PersoÂnen verkleiÂnert, die sie durchÂfühÂren dürfen, kritiÂsierte Behrendt. Da im niederÂgeÂlasÂseÂnen Bereich nicht ausreiÂchend FachÂärzte verfügÂbar seien, würden auch KlinikÂärzte zur TeilÂnahme an der vertragsÂärztÂliÂchen VersorÂgung ermächtigt.
Diese würden die PotenÂziÂalÂerheÂbung dann als ambuÂlante LeisÂtung erbrinÂgen. Die KliniÂken müssÂten nun fläÂchendeckend ausreiÂchend verordnungs- und erheÂbungsÂbeÂrechÂtigte FachÂärzte zur VerfüÂgung stelÂlen – das sei aber nicht absehÂbar, warnte Behrendt.
Noch dramaÂtiÂscher sei die SituaÂtion für die jüngsÂten PatiÂenÂten: Die zur PotenÂziÂalÂerheÂbung erforÂderÂliÂche zuÂsätzÂliche QualiÂfiÂzieÂrung in EinrichÂtunÂgen mit prolonÂgierÂter BeatmungsÂentÂwöhÂnung sei im Bereich der PädiaÂtrie nicht möglich, da diese LeisÂtunÂgen bei Kindern bis zum vollÂendeÂten 14. LebensÂjahr nach dem OperatioÂnen- und ProzeÂduÂrenÂschlüsÂsel (OPS) nicht abreÂchenÂbar sind.
Die durch FachÂweiÂterÂbilÂdung ausreiÂchend qualiÂfiÂzierÂten KinderpneuÂmoÂloÂgen pädiaÂtriÂschen IntenÂsivÂmeÂdiÂziÂner wiederum seien nicht flächenÂdeÂckend verfügbar- oder stünÂden bei Anfrage nicht zur VerfüÂgung. „Wer die FachÂpresse verfolgt, weiß, dass pädiaÂtriÂsche IntenÂsivÂmeÂdiÂziÂner regelÂmäÂßig an der BelastungsÂgrenze arbeiÂten“, erÂklärte Behrendt. Die mediÂziÂniÂsche VersorÂgung von Kindern, JugendÂliÂchen und jungen VollÂjähÂriÂgen könne desÂhalb bei UmsetÂzung der neuen RichtÂliÂnien nicht gewährÂleisÂtet werden.
Mit dem IPReG werde deshalb ziemÂlich genau das GegenÂteil von dem erreicht, was sein Ziel ist. „Das ist handÂwerklich eines der schlechÂtesÂten Gesetze, die ich je geleÂsen habe“, pflichÂtete dementspreÂchend auch Michael Isfort bei, ProfesÂsor für PfleÂgeÂwisÂsenÂschaft und VersorÂgungsÂforÂschung an der KathoÂliÂschen HochÂschule Nordrhein-Westfalen.
Er kritiÂsierte die durch die neuen Regeln forcierte VerlaÂgeÂrung von der häusÂliÂchen in die statioÂnäre Pflege. „Seit vielen Jahren wissen wir um die heftiÂgen ProblemÂlaÂgen in der qualiÂtaÂtiÂven statioÂnäÂren VersorÂgung – und einfach zu postuÂlieÂren, dass dort per se eine bessere VersorÂgung herrscht als in der häusÂliÂchen UnterÂbrinÂgung, erschließt sich mir nicht“, sagte er.
DeutÂsches ÄrzteÂblatt print
- AußerÂkliÂniÂsche IntenÂsivÂverÂsorÂgung: QualiÂfiÂzierte Konzepte für Weaning und Beatmung
- Mobile RehaÂbiÂliÂtaÂtion: Neue VersorÂgungsÂopÂtioÂnen für Pflegebedürftige
aerz​te​blatt​.de
Auch die geplante EvaluaÂtion sei ihm zu wenig – Menschen mit der NotwenÂdigÂkeit zu intenÂsivÂpfleÂgeÂriÂscher BetreuÂung könne man keinen ExpeÂriÂmenÂten aussetÂzen. „Wir müssen bei solchen ProjekÂten eine FolgenabÂschätÂzung vornehÂmen lassen“, forderte er. „Es kann doch nicht sein, dass wir da so diletÂtanÂtisch unterÂwegs sind.“
Die UngeÂwissÂheit schlage für viele BetrofÂfene langÂsam in blanke Angst um, schließÂlich wüssÂten sie nicht, ob sie der neuen Regeln wegen bald gegen ihren Willen in die statioÂnäre VersorÂgung – und damit aus ihrem bisheÂriÂgen Leben heraus – müssen. „Die Aufgabe des selbstÂbeÂstimmÂten Lebens versetzt viele in Panik“, sagte die BehinÂderÂtenÂrechtsÂakÂtiÂvisÂtin Dinah Radtke. Sie vertrete die AuffasÂsung, dass das Gesetz gegen die ArtiÂkel 1 bis 3 des GrundÂgeÂsetÂzes sowie die UN-Behindertenrechtskonvention.
Dafür erhielt sie ZustimÂmung. „Das Gesetz ist so etwas von unverÂeinÂbar mit der UN-BehindertenrechtskonÂvenÂtion, dass wir alles tun müssen, um es zu stopÂpen. Ich finde das unerÂträgÂlich“, erklärte die pfleÂgeÂpoÂliÂtiÂsche SpreÂcheÂrin der FDP-Bundestagsfraktion, Nicole Westig. „Das gehört ins ParlaÂment, da sind GrundÂrechte betroffen“
Dass es so einfach nicht geht, musste aber selbst Behrendt einräuÂmen. Es gebe nun einmal einen bindenÂden GesetÂzesÂbeÂschluss aus dem Jahr 2020, betonte er. „Wir können so ein VerfahÂren nicht einfach stopÂpen, sondern müssen uns an rechtsÂstaatÂliÂche VerfahÂrensÂreÂgeln halten.“
Er verwies deshalb auf das MemoÂranÂdum des GKV-IPReG Think Tank – eines ZusamÂmenÂschlusÂses aus BetrofÂfeÂnen, AngeÂhöÂriÂgen, MediÂziÂnern, WissenÂschaftÂlern, PfleÂgern und TheraÂpeuÂten – entwiÂckelt hat. Darin appelÂliert das BündÂnis unter an das BundesÂgeÂsundÂheitsÂmiÂnisÂteÂrium (BMG), das Datum für die UmsetÂzung der RichtÂliÂnie so weit zu verschieÂben, bis die VerordÂnungsÂsiÂcherÂheit flächenÂdeÂckend gewährÂleisÂtet werden kann. © lau/aerzteblatt.de