Sehr geehrter Herr Dr. Diesener, sehr geehrte Mitarbeiter des Hegau-Jugendwerkes, sehr geehrte Gäste,
ich bedanke mich für die Gelegenheit heute zum Anlass des 25-jährigen Jubiläums der Frührehabilitation im Hegau-Jugendwerk und anlässlich des Rückblicks auf die Pionierarbeit Dr. Dieseners und seines Teams, das Grußwort des Elternselbsthilfevereins INTENSIVkinder zuhause e.V. überbringen zu dürfen.
Mir persönlich war es ein Bedürfnis und ist es eine große Freude, heute, 8 Jahre nach Entlassung im Sommer 2011, mit meiner quietschfidelen beatmeten Tochter und zwei ihrer Geschwister auf dieser Veranstaltung zur Würdigung Ihrer Arbeit im Hegau anwesend sein zu können.Der Elternselbsthilfeverein INTENSIVKINDER zuhause wurde vor 19 Jahren gegründet und zwischen dem Wunsch und dem Bestreben der ersten Elterngeneration, ihre beatmeten und tracheotomierten Kinder nach schweren Unfällen und Erkrankungen zuhause versorgen zu wollten und der Arbeit des Hegau Jugendwerk, das hier Pionierarbeit leistete, besteht eine denkbar enge Beziehung.
Individuell passende und schonende Beatmungsmodi, eine sichere und teilhabeorientierte Kanülenversorgung und angepasste Konzepte für den Kostaufbau, sind Voraussetzungen für eine Versorgung außerhalb einer Klinik und das Leben in Familie Gemeinschaft. Schlucken, Nahrung aufnehmen und Verdauen, Atmen, Riechen, Fühlen und Kommunikation sind nicht nur Voraussetzungen von Teilhabe, sie sind und bedeuten Teilhabe!
Die ausführlichen Abschlussberichte Ihrer gut vernetzten Abteilungen, halfen später zuhause, die Integration und institutionelle Teilhabe in Kitas, Schulen, Werkstätten und Ausbildungsstellen zu bahnen und zu sichern und natürlich die ärztliche und pflegerische Weiterbehandlung am Wohnort zu etablieren. Die sorgfältige Instruktion der Pflegedienste ist nicht zu vergessen.
Es ist diese umfassende Vernetzung und die interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen und Fachabteilungen ihres Hauses, die wahrlich eine Pionierleistung war und ist und die Maßstäbe setzt.
Die menschliche Fähigkeit auch einschneidende und extrem einschränkende Einschnitte als Folge von schwerer Krankheit und Behinderung zu adaptieren und sich dennoch unaufhaltsam zu entwickeln, sehen wir in unseren Intensivkindern genauso verkörpert wie die die Verletzlichkeit und Verwundbarkeit menschlichen Lebens.Was wir im Rückblick an Ihnen, Herr Dr. Paul Diesener, besonders schätzen, ist die Begegnung auf Augenhöhe und Ihr Vertrauen in unsere Fähigkeiten, das sich dadurch ausdrückte, uns die medizinischen Tatsachen unbeschönigt zuzumuten. Das half uns Eltern, realistische Erwartungen zu entwickeln. Ebenso ehrlich setzten Sie uns bezüglich der zu erwartenden krankheits- und behinderungsbedingten Folgeprobleme ins Bild. Auch soziale Folgeprobleme wurden nicht beschönigt, sondern realistisch angedeutet, die beständigen Auseinandersetzungen mit den Kostenträgern eingeschlossen.
Die kostbare Zeit für Gespräche und Reflexion, während der Frührehabilitation unserer Kinder, ermöglichte bei vielen von uns zudem auch wichtige Einsichten: Das wir unseren Kindern durch das Aussetzen von Erziehung ein weiteres Handicap aufbürden, wenn wir ihnen gegenüber unsere souveräne Position als Eltern aufgeben und vor lauter Angst, Mitgefühl, Selbstmitleid oder Erschöpfung nichts mehr abverlangen, ihnen in allem nachgeben und sie zu sehr verwöhnen. Auch, in welches Chaos wir unsere Kinder stürzen, wenn wir uns selbst aufgeben, vernachlässigen oder opfern.Unsere Kinder verließen das Hegau Jugendwerk mit neuen Kräften Beatmungs- Ernährungskonzepten, die im Alltag funktionierten. Auch mit wirklich individuellen und zuweilen originellen Kanülenversorgungen, zu der manchmal auch ein Satz Nieten und ein kleines Stanzgerät gehörten, um kleinere Produktmängel durch Handarbeit zu optimieren.
Geschwisterkinder verloren hier ihre Angst und manchmal, wie im Falle meines damals anderthalb jährigen Sohnes, ein bisschen den Respekt vor der vermeintlichen Tortur und dem Martyrium, das Intensivstation bedeutet, die von uns Familien im Taschenformat fortan immer mitzuführen, häufig jedoch auch in wesentlich umfänglicheren Format in die Kinderzimmer zu integrieren war: In Ihren Worten Herr Dr. Diesener: “als Startrampe ins Leben des erkrankten Kindes und als dessen sicheres Cockpit.“Uns Eltern wurden im Hegau Jugendwerk in unserer neuen Lebenssituation Wege in die Mündigkeit, Selbstermächtigung und Emanzipation gewiesen. Das gelang durch das Vermitteln von Wissen
über die Erkrankung, Sicherheit und Rückhalt durch die Möglichkeit, wirklich jederzeit und wiederholt Fragen stellen und auftretende Ängste und Bedenken aussprechen zu dürfen.Durch den Rausschmiss zum jeweils richtigen Zeitpunkt und der Möglichkeit, weiterhin in Kontakt bleiben zu können und regelmäßige Check-ups zu absolvieren, wurde die Entlassung nachhause von uns mit dem Auftrag angenommen, den medizinisch stabilisierten und durch Therapien, Schulkindergarten und Krankenhausschule in ihrer Teilhabefähigkeit gestärkten Kindern, einen guten Platz im Leben zu geben und Wege zu bahnen – dabei stets die wesentlichen medizinischen Notwendigkeiten im Auge zu behalten. Die allermeisten Eltern fühlten sich gerüstet, den Spagat zwischen familiärer Autonomie und dem Angewiesensein auf andere – den notwendigen, lebenssichernden Abhängigkeiten- selbstbestimmt zu wagen und mit der im Hegau Jugendwerk erworbenen Expertise für ihr Kind einzutreten.
Wir danken Herrn Dr. Diesener heute, für seinen selbstlosen und kompetenten Einsatz in den vergangenen Jahren. Für das wirklich unermüdliche Beantworten von Fragen und das sensible Eingehen auf unsere Sorgen und Befürchtungen, das Vorschlagen praktikabler Lösungen immer mit Fokus auf die Lebensqualität und Teilhabefähigkeit unserer Kinder- häufig jahrelang über den Zeitpunkt Entlassung hinaus und wir bedanken uns für die zutiefst humanen Maßstäbe, die uns durch diese Behandlung und im persönlichen Umgang vermittelt wurden.
Für mich wie für zahlreiche Eltern, mit denen ich im Vorfeld dieser Veranstaltung gesprochen habe, gilt: Wir hätten diese schwere Zeit, in der wir so verletzlich zwischen Bangen und Hoffen und zwischen dem Betrauern und neuem Lebensmut schwankten, mit unseren Kindern nirgendswo anders verbringen wollen als im Hegau Jugendwerk.
Wir danken Dr. Diesener und Mitarbeitern des Teams der Frührehabilitation im Hegau-Jugendwerk, für die zahlreichen Workshops und Vorträge in den vergangenen Jahren anlässlich unserer jährlichen Elternbegegnungstagungen, mit denen wir immer auf dem Laufenden gehalten wurden.
Wir bedanken uns heute auch im Namen unserer Kinder. Die Kinder der ersten, in unserem Elternselbsthilfeverein zuhause organisierten Elterngeneration, sind heute entgegen aller ursprünglichen Prognosen, sehr lebendige, erwachsene junge Menschen in ihren zwanziger und dreißiger Jahren, die im Leben stehen und an der Gemeinschaft teilhaben.
Stellvertretend für den Verein INTENSIVkinder zuhause e.V., möchte meine Tochter Amelie Herrn Dr. Diesener heute ihr selbstgemaltes Motto übergeben.
Henriette Cartolano, 2.Vorsitzende