(Veröffentlicht auf kobinet-nachrichten.org am 23.06.2023 08:33 von Ottmar Miles-Paul in der Kategorie Bericht - gepostet mit freundlicher Genehmigung)
Berlin (kobiÂnet) Am 31. OktoÂber 2023 tritt Art. 2 des Intensivpflege- und RehaÂbiÂliÂtaÂtiÂonsÂstärÂkungsÂgeÂsetÂzes (GKV-IPReG) und damit eine NeufasÂsung von § 37 Absatz 2 Satz 3 SGB V in Kraft. Dies hat zur Folge, dass Menschen mit einem besonÂders hohen Bedarf an mediÂziÂniÂscher BehandÂlungsÂpflege (nicht nur zwinÂgend BeatmungsÂpflege, also zum Beispiel auch bei neuroÂloÂgiÂschen ErkranÂkunÂgen wie EpilepÂsie oder StoffÂwechÂselÂerÂkranÂkunÂgen) ab diesem ZeitÂpunkt grundÂsätzÂlich keinen Anspruch mehr auf LeisÂtunÂgen der häusÂliÂchen KranÂkenÂpflege (HKP) nach § 37 Absatz 2 SGB V haben. Ab diesem ZeitÂpunkt besteht dann für diese Patient*innen ausschließÂlich ein Anspruch auf außerÂkliÂniÂsche IntenÂsivÂpflege (AKI) nach § 37c SGB V. Patient*innen mit einem besonÂders hohen Bedarf an ÃœberÂwaÂchung ihrer VitalÂfunkÂtioÂnen, die außerÂhalb von KliniÂken unterÂstützt werden, droht eine lebensÂbeÂdrohÂliÂche UnterÂverÂsorÂgung, so dass der GesetzÂgeÂber hier drinÂgend handeln muss.
Bericht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Nach den RegeÂlunÂgen der AußerÂkliÂniÂschen Intensivpflege-Richtlinie (AKI-RL) des GemeinÂsaÂmen BundesauÂschuss (G‑BA) darf die außerÂkliÂniÂsche IntenÂsivÂpflege (gemeint ist die VersorÂgung in der eigeÂnen HäusÂlichÂkeit, in vollÂstaÂtioÂnäÂren PfleÂgeÂeinÂrichÂtunÂgen, in WohnÂgeÂmeinÂschafÂten oder auch in KinderÂtaÂgesÂstätÂten und SchuÂlen) für beatmete und tracheÂalÂkaÂnüÂlierte VersiÂcherte ab diesem ZeitÂpunkt nur noch durch einen kleiÂnen Kreis von besonÂders qualiÂfiÂzierÂten Ärzt*innen und vorheÂriÂger EinschätÂzung eines gegeÂbeÂnenÂfalls vorhanÂdeÂnen EntwöhÂnungsÂpoÂtenÂziÂals von Beatmung oder TracheÂalÂkaÂnüle verordÂnet werden.
Die beteiÂligÂten Akteur*innen im GesundÂheitsÂweÂsen arbeiÂten zwar derzeit mit HochÂdruck daran, dass bis zum 31. OktoÂber 2023 ausreiÂchend besonÂders qualiÂfiÂzierte Ärzt*innen zur VerfüÂgung stehen, um die WeiterÂverÂsorÂgung von Patienten*innen mit Bedarf an außerÂkliÂniÂscher IntenÂsivÂpflege zu gewährÂleisÂten. Doch nun steht fest, dass es nicht gelinÂgen wird, bis zu dem besagÂten StichÂtag im OktoÂber geeigÂnete (barrieÂreÂfreie) StrukÂtuÂren flächenÂdeÂckend aufzubauen.
Patient*innen berichÂten bereits, dass selbst ihre bisher HKP verordÂnenÂden Ärzt*innen, aufgrund der in der AKI-Richtlinie des G‑BA neu speziÂfiÂzierÂten AufgaÂben, nicht werden erfülÂlen können. Grund dafür sind unter andeÂrem die aufwänÂdige KoorÂdiÂnaÂtion der GesamtÂverÂsorÂgung und der daraus resulÂtieÂrende hohe ZeitÂaufÂwand für die BetreuÂung einzelÂner Patienti*nnen mit Bedarf an außerÂkliÂniÂscher IntenÂsivÂpflege. Der hohe Aufwand, der zudem höchsÂtens mit unwirtÂschaftÂliÂchen 50,97 € pro VerordÂnung vergüÂtet wird, gehe zulasÂten andeÂrer in der Praxis betreuÂter Patient*innen und könne daher künfÂtig nicht mehr geleisÂtet werden.
Die BefürchÂtung grünÂdet sich auf AussaÂgen der KassenÂärztÂliÂchen BundesÂverÂeiÂniÂgung (KBV) beim CODY innoÂvaÂtion hub am 13. Juni 2023 in Berlin: für ca. 18.000 beatmete und tracheÂalÂkaÂnüÂlierte Patient*innen gibt es demnach bisher ledigÂlich 257 zur PotenÂziÂalÂerheÂbung befugte Ärzt*innen. Für alle ca. 22.000 Patient*innen mit Bedarf an außerÂkliÂniÂscher IntenÂsivÂpflege stehen insgeÂsamt nur 591 verordÂnende Ärzt*innen zur VerfüÂgung. Die fehlende oder eingeÂschränkte BarrieÂreÂfreiÂheit der Praxen schränkt die Anzahl der tatsächÂlich zur VerfüÂgung stehenÂden Ärzt*innen zusätzÂlich ein.
Für die PotenÂziÂalÂerheÂbung von Kindern werden die SpeziÂfiÂzieÂrunÂgen der zugeÂlasÂseÂnen pädiaÂtriÂschen Fachärzt*innen aktuÂell noch im G‑BA überÂarÂbeiÂtet, so dass hier bis zum StichÂtag keine Basis für die flächenÂdeÂckende SicherÂstelÂlung der fachÂärztÂliÂchen VerordÂnungsÂvorÂausÂsetÂzunÂgen zu erreiÂchen ist.
AngeÂsicht dieser Zahlen lässt sich abseÂhen: Den besonÂders vulnerablen AKI-Betroffenen droht zum 31. OktoÂber 2023 – also in ca. vier MonaÂten – eine lebensÂbeÂdrohÂliÂche UnterÂverÂsorÂgung. Es bedarf daher drinÂgend einer GesetÂzesÂänÂdeÂrung mit einer angeÂmesÂseÂnen ÃœberÂgangsÂfrist von zwei Jahren, um der entstanÂdeÂnen strukÂtuÂrelÂlen MangelÂlage angeÂmesÂsen zu begegÂnen. GleichÂzeiÂtig muss der Aufbau flächenÂdeÂckenÂder VersorÂgungsÂstrukÂtuÂren voranÂgeÂtrieÂben und damit zunächst mindesÂtens die VerordÂnungsÂsiÂcherÂheit für alle betrofÂfeÂnen Patient*innen hergeÂstellt werden.
Die KranÂkenÂkasÂsen setzen bezügÂlich ihres SicherÂstelÂlungsÂaufÂtraÂges für diese lebensÂsiÂchernde LeisÂtung ganz auf das EngaÂgeÂment der Patient*innen, deren An- und ZugeÂhöÂriÂgen und der bisher verordÂnenÂden Ärtzt*innen. Ganz getreu dem Motto: „Lasst uns doch erstÂmal abwarÂten, und nicht in HysteÂrie verfallen!“.
Also: Hoffen wir mal – – wird schon!
Ein Schlag ins Gesicht derer, die zu Recht um ihre VersorÂgungsÂsiÂcherÂheit bangen und deren selbstÂbeÂstimmÂtes Leben bald der VerganÂgenÂheit angeÂhöÂren könnte.
Während die QualiÂtätsÂverÂspreÂchen des IPReG für AKI-Patient*innen in absehÂbaÂrer Zeit unerÂfüllÂbar sind, kommen aber andere Akteur*innen ihren TräuÂmen immer näher: wurden auf der einen Seite FehlÂanÂreize abgeÂschafft (wir erinÂnern uns alle an die „Beatmungs-WGs“ im 5. Stock ) schieÂßen auf der andeÂren Seite neue FehlÂanÂreize wie Pilze aus dem Boden: die VermittÂlung von Patient*innen in pneuÂmoÂloÂgiÂsche Weaning-Zentren sowie deren sogeÂnannte „erfolgÂreiÂche“ BeatmungsÂentÂwöhÂnunÂgen brinÂgen Boni für PfleÂgeÂdienste und KliniÂken. Dies zu klären, hat man immerÂhin bereits vor dem StichÂtag geschafft.
UngeÂklärt bleibt: Was heißt „erfolgÂreich“ von der Beatmung entwöhnt? (bei einer MortaÂliÂtätsÂrate von durchÂschnittÂlich 25 Prozent). Wir von den kobinet-nachrichten bleiÂben dran und berichÂten weiter über das VabanÂqueÂspiel mit den Patient*innen in der außerÂkliÂniÂschen Intensivpflege.
Zum HinterÂgrund:
AußerÂkliÂniÂsche IntenÂsivÂpflege (AKI):
Mit dem sehr umstritÂteÂnen Intensivpflege- und RehaÂbiÂliÂtaÂtiÂonsÂstärÂkungsÂgeÂsetz (GKV-IPReG) wurde die AKI aus der häusÂliÂchen KranÂkenÂpflege ausgeÂglieÂdert und in eine eigene RegeÂlung überÂführt. Aufgrund dieser neuen SysteÂmaÂtik haben gesetzÂlich VersiÂcherte, die beatmet, tracheÂalÂkaÂnüÂliert oder aus andeÂren GrünÂden auf IntenÂsivÂpflege angeÂwieÂsen sind, ab dem 31. OktoÂber 2023 keinen Anspruch mehr auf häusÂliÂche KranÂkenÂpflege, sondern können nur noch AKI nach der SpeziÂalÂvorÂschrift des § 37c SGB V erhalÂten. Das hierÂdurch geschafÂfene SonderÂrecht für Intensivpflegepatient*innen und ihren Ausschluss vom Anspruch auf häusÂliÂche KranÂkenÂpflege hatten die FachÂverÂbände für Menschen mit BehinÂdeÂrung im GesetzÂgeÂbungsÂverÂfahÂren nachÂdrückÂlich kritisiert.
Link zum kobinet-Bericht vom 26. Mai 2023 zum OffeÂnen Brief des Think Tank GKV-IPReG